Sonntag, 14. Juni 2015. Heute ist „Rund um Köln“. Dieses „Heimrennen“ habe ich mir für mein Debüt (début) ausgesucht und mich seit vier Wochen mit drei wöchentlichen Einheiten sogar einigermaßen seriös darauf vorbereitet. Morgens 4:00 bin ich wach, der Wecker klingelt „erst“ um 5:00. Nach dem Frühstück heißt es erstmal wach werden. Die technische Vorbereitung lief problemloser. Mein Rad hatte ich am Vortag noch geputzt und von gefühlten 500g Schmutz befreit. Das bringt sicher 0,2 Sek auf 100km.
Unsere Scuderia trifft sich um 8:30 an der Severinstorburg. Mit 29 Mann wollen wir antreten. Das bedeutet Teilnehmerrekord für die Scuderia. Das Wetter ist großartig: kaum Wind, sonnig aber nicht zu warm. Ich habe mir das richtige Rennen ausgesucht. Mit dabei der WDR. Er unterstreicht die Besonderheit unserer Scuderia. Wir sind sicher die einzige Thekenmannschaft der Welt mit eigenem Kamerateam. „Sehen gut aus, können aber nichts“, …. Galgenhumor vor dem Start.
Wir rollen gemeinsam Richtung Start und fahren am Rhein einige Male rauf und runter. Unser Kamerateam haben wir gleich abgehängt. Das sollten wir erst am Ziel wieder sehen. Das Rennen scheint gut organisiert, und doch verwirren uns die Spielereien an den Startblöcken von B und C. Beide Blöcke scheinen sich zu vermischen, auch einige „D“-ler sehe ich neben mir. Die Scuderisti sind mit 10 Mann in Block C am stärksten vertreten. Das sollte für mich reichen, um ein Hinterrad zu finden, an dem ich mich orientieren kann.
Der Start: Banges Warten, mein Puls ist hoch, ich nervös. Die Strecke mit einer Länge von 124,6km und deutlich über 1300hm bereitet mir Kopfzerbrechen, da ich so weit in diesem Jahr nur zwei Mal im Training gefahren bin. Das können ganz bittere Minuten (oder Stunden) werden. Ich male mir ein Rennen auf Augenhöhe mit dem Besenwagen aus und hoffe insgeheim auf eine Zeit mit einer 3 vorn (Stunden, nicht Tage).
Endlich geht’s los, die Nervosität ist sofort weggeblasen. An ihre Stelle tritt schnell Entsetzen. Das Anfangstempo ist unglaublich hoch „He Jungs, Ziel ist erst später“ möchte ich denen zurufen, und ich habe schon jetzt fast Maximalpuls. Schon beim Start lasse ich mich einengen von etlichen Mitfahrern, so dass ich sofort den Kontakt zu den übrigen Scuderisti aus meinem Startblock C verliere. Stattdessen rollen Peter und Thomas mit einem lockeren „Hallo“ an mir vorbei, und ich habe jemanden, an den ich mich hängen kann – aus Startblock D. Das läuft wohl unter suboptimal.
Im Tunnel hat es bereits den ersten zerlegt, trotz aller Mahnungen des Veranstalters. Auch vor mir fahren einige einen beherzten Schlingerkurs. Die machen ja sogar die Absperrungen scheu. Zügig brettert das Peloton dem Bergischen Land entgegen und passiert eine Reihe von Kreisverkehren, die von den Helfern sehr gut gekennzeichnet werden. Das kann aber nicht verhindern, dass ich ausgerechnet an dem Kreisel, an dem es gleich schräg rechts weitergeht linkseröm fahre, und schon sind Peter und Thomas auch weg. Hürdenlaufen konnte ich irgendwie besser. Ich fahre ab jetzt, bei km-Stand von ca. 10 also allein unter Vielen, was mir keine Orientierung gibt. Die Scuderisti sind alle weg. Ich weiß nicht einmal, ob außer Lutz, der wegen seiner Nachmeldung in Block F strafversetzt wurde noch einer von der Scuderia hinter mir ist.
Nach einiger Zeit gewöhne ich mich an das Tempo. Der erste ernsthafte Anstieg geht überraschend gut. ‚Nur nichts überstürzen‘ sage ich mir und fahre ziemlich ruhig bis Scheuren. Dennoch lassen sich einige überholen, und in mir steigt der Optimismus, dass ich den Besenwagen hinter mir lassen werde. Kurze Zeit später, erstes Mal Sand, uff, kleinster Gang, die Kräfte scheinen doch schon aufgebraucht, und ich habe noch 6 weitere Anstiege vor mir. Lutz (genau, der aus Startblock F) rauscht an mir vorbei, dranbleiben iss nich.
Das erste Loch. Ich denke an Bensberg. Mein Rücken beginnt schon jetzt, sich zu melden. Ich denke kurzfristig an Aufgabe, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder. Jede Bodenwelle wird zur Kriegserklärung, und bei Schnappatmung fällt es zunehmend schwerer zu Essen und zu Trinken. Was mache ich hier eigentlich? Hobby ist, wenn man Spaß daran hat.
Am Schlossberg wartet meine Frau und winkt mir entspannt zu. Das wirkt für den Bruchteil einer Sekunde Wunder, und es kommt ein Foto mit Lächeln zustande. Sie sollte nebenher laufen, dann wäre ich schneller. Bei dem Tempo, das ich hier an den Berg lege, kein so abwegiger Gedanke.
Nach einer abenteuerlichen Abfahrt bei Forsbach, bei der ich deutlich über 70km/h erreiche gibt’s 2 kleinere Bergprüfungen hinauf nach Heiligenhaus und Hohkeppel. Die Zuversicht ist zurück und ich wage einen mutigen Ritt hinauf. Ich verschaffe mir ein wenig Luft und komme etwas erstaunt als erster meiner Gruppe oben an. Weit und breit keiner vor mir, und hinter mir wird noch gekämpft. An die ca. 200m vor mir liegende Gruppe herankämpfen ist sicher zwecklos, also bleibt mir Zeit für den Blick für die schönen Dinge. Prima Aussicht von hier oben, schöne Mittelgebirgslandschaft, viel Grün … Kurz vor der Abfahrt quetscht sich noch ein Materialwagen auf dem relativ schmalen Weg an mir vorbei, und ich muss bei Tempo 50 – bremsen. So ein Vollhorst. Ans Aufschließen ist nicht einmal jetzt zu denken, wo der vor dem Materialwagen Fahrende eine rollende Erholungsphase einlegt. So ungeduldig kenne ich mich gar nicht.
Für gute 2-3km bin ich allein unterwegs als sich einer erbarmt und von hinten heranrollt. Ich hänge mich sofort an sein Hinterrad, und gemeinsam stürmen wir nach Bärbroich hoch. Die kürzlich noch vor mir liegende Gruppe passieren wir wie im Zeitraffer. Der innere Schweinehund ist tot, da taucht Bruno plötzlich vor mir auf, ‚kann nicht sein‘ ist mein erster Gedanke. Ich rufe ihm aufmunternd zu „Bruno“ und gebe ihm ein Zeichen, mir zu folgen. Offenbar war das Motivationsschub, denn kaum waren wir oben, schoss er an mir vorbei. ‚Was hab’ ich jetzt davon?‘ denke ich und versuche, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Aber es hilft nichts. Tempo machen auf flachem Terrain ist meine Stärke nicht. An dieser Stelle Dank an den Mann mit dem grünen Trikot und den blauen Schuhen. Er wird bis Bensberg mein treuer und nicht murrender Hase sein und dafür sorgen, dass ich mich nicht trudeln lasse.
Sand passiere ich im zweiten Durchgang wie in Trance. Unglaubliche Zuschauermengen jubeln uns zu. Die wissen, warum sie hier stehen und welche wichtige Aufgabe die zu erfüllen haben. Keiner, der seine Fingernägel feilt. Als ich das zweite Mal den Schlossberg hochkeuche, merke ich doch den Kräfteverschleiß. Seit einigen km tut der rechte Oberschenkel weh, ich ahne eine Zerrung, das Sitzfleisch ist lange durchgescheuert, und der Nacken ächzt. Auch meinen Motivationsschub nehme ich nicht mehr wahr. Jetzt nur noch bergab. Mir gelingt es, den Schmerz zu verdrängen, was sicher nicht gesundheitsfördernd ist, und an einer relativ großen Gruppe dran zu bleiben. Keine Eskapaden mehr, kein Schlingerkurs, keine Ausreißversuche. Bis Köln sind noch gute 20km, und ich rede mir ein, nur noch 30min im Sattel zu sitzen. Das hilft bis zum Rheinauhafen.
Die Erleichterung im Ziel ist grandios. Geschafft. Sonnenschein, raus aus dem Sattel. Ich kann endlich wieder essen und trinken und ziehe mir sofort eine Bockwurst und einige Müsliriegel, eine Banane und natürlich literweise Säfte ‚rein. Und der Besenwagen – weit abgeschlagen. Die 4 Std. habe ich überraschend deutlich unterboten.
Die anderen Scuderisti sind überwiegend sehr gut gefahren. Die waren nicht nur schneller, sondern sicher auch cleverer. Alle kamen ins Ziel, keine Aufgaben, keine Stürze, nur wenige, die sich mehr erhofft hatten.
Bei allem Ungemach, der einem Debütanten so widerfährt, war es ein großartiges Erlebnis, dass ich mich beim Gedanken an das nächste „Rund um Köln“ ertappe. Eine Erkenntnis aber bleibt: man sollte sein Wintertraining nicht in den Mai legen.
😀 Super Story! Witzig und packende Dramatik, danke für den Einblick in dein Leiden.
Schöner Bericht. Vielen Dank für den Beitrag!
yepp. klasse Umsetzung. Mehr davon.